Auf geheimer Mission – die Männerriege in der Festung Möslifluh
Kurz nach ein Uhr treffen wir uns auf dem Parkplatz beim Schulhaus Lindenberg, um im Autopool nach Benken zu fahren. Ziel ist die sagenumwobene Infanterie-Festung Möslifluh, ein Stück Schweizer Geschichte tief im Felsen verborgen.
Vor einem unscheinbaren Holzschuppen erwartet uns Felix Nöthiger, 82-jährig, ehemaliger Hauptmann und wandelndes Geschichtsbuch. Seine Leidenschaft gilt der geheimnisvollen Organisation P26 und der Schweizer Verteidigungsstrategie im Kalten Krieg. Schon nach wenigen Minuten ist klar: Hier spricht einer, der nicht nur weiss, wovon er redet – er hat das Thema in seinen Genen verinnerlicht. Mühelos referiert er über das Infanterie-Werk Möslifluh als zentralen Eckpfeiler der ersten Verteidigungslinie zum Eingang ins Glarnerland. In einer dreiviertel Stunde packt er mehr Hintergrundwissen und Erfahrung in seine Erzählung als andere in ein ganzes Buch.
Mit einem Schmunzeln erklärt er, warum ihm die Glarner - er nennt sie die «cheiben» Glarner - besonders sympathisch sind: „Die haben nie gemacht, was ihnen befohlen wurde – und darum hat’s meistens funktioniert!“ In einer weiteren Episode bezeichnet er die beiden dannzumal in die Festung eingebauten 4,7-cm-Infanteriekanonen liebevoll als „Panzeranklopfgeräte“, da sie wohl eher höflich um Einlass gebeten hätten, als ernsthaften Schaden anzurichten.
Dann geht es abwärts – im wahrsten Sinn des Wortes. Hundert Stufen tief in den Berg, hinein ins Innere der Festung. Weil wir auf kleinem Raum eng beieinander sind, müssen wir die für hier immer noch geltenden strikten Covid Vorschriften befolgen. Zur Desinfektion bekommt jeder von uns zwanzig Männern einen Zwetschgenschnaps, eine Vorschrift, welcher wir klaglos Folge leisten.
Im Inneren entdecken wir spannende Tafeln mit vielsagenden Titeln wie „Führung des Widerstandes aus dem Exil“ oder „Die Schweiz als Angriffsziel“. Ein Titel fällt besonders auf: „Wir halten fest mit hartem Grind, auch dann, wenn wir umzingelt sind.“ Oder, wie es eine bekannte Berner Sportlerin Jahrzehnte später etwas gekürzt, dafür umso pragmatischer formuliert hat: «Gring ache u seckle.»
Felix Nöthiger fesselt uns mit seinem schier unerschöpflichen Wissen. Wer weiss schon, dass General Guisan einen geheimen „Reptilienfonds“ hatte – ein diskretes Kässeli, aus dem unter anderem die Entwicklung von chiffrierfähigen Kurzwellen-Funkgeräten bezahlt wurde? Oder dass es ein Sabotage-Handbuch gab, in dem genau steht, wie man Sprengstoff aus einfachsten Mitteln herstellen könnte? Eine Kopie davon dürfen wir sogar sehen – rein informativ, versteht sich! Und wer denkt, die speziell für Frauen entwickelten Pistolen der P26 seien nach deren Auflösung verschrottet worden, irrt: Die Schweizergarde im Vatikan trug sie noch bis vor wenigen Jahren stolz am Gürtel.
Nach dieser geballten Ladung Schweizer Untergrundgeschichte zieht es uns wieder ans Tageslicht – und weiter in die Bretzelstube in Benken, wo uns ein feines Zvieriplättli erwartet. So findet ein höchst interessanter und kameradschaftlicher Nachmittag seinen gemütlichen Abschluss.
Ein letztes Rätsel bleibt allerdings: Warum gibt es von diesem Ausflug nur eine einzige Foto? Die Antwort liegt auf der Hand: Wir waren in geheimer Mission unterwegs, und da war Fotografieren natürlich strengstens verboten!
Hans Jörg Burkhard